Partizipation gilt heute als „ein, wenn nicht das normative Kernelement demokratischer Systeme“ (ALCANTARA u.a. 2016). Sowohl in der politisch-gesellschaftlichen Praxis als auch im politologischen Diskurs wird die hohe Relevanz der Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger für die demokratische Gesellschaft und ihre Zukunft deutlich. Dabei werden zwar das angemessene Maß und die konkreten Maßnahmen diskutiert, nicht aber die Tatsache, dass die Beteiligung aller – mindestens durch die Wahl und gesetzlich geregelte Bürgerbeteiligungsverfahren – normativ als Merkmal der demokratischen Verfassung gilt. Zudem zeigen sowohl gesellschaftliche als auch ökonomische Trends, dass Partizipation als wesentliches Prinzip im Alltag des 21. Jahrhunderts gilt.
Mit Blick auf die Kirche fällt auf, dass diese zunächst keineswegs demokratisch verfasst ist. Auch wird betont, dass „demokratische Ordnungsprinzipien […] auf die Kirche nicht übertragbar [seien], ohne Gefahr zu laufen, sie [= die Kirche] sich selbst zu entfremden“ (BÖCKENFÖRDE).
Zugleich wird heute aber sowohl in der kirchlich-pastoralen Praxis als auch bei Entscheidungsprozessen die Beteiligung aller Getauften und Gefirmten immer stärker gefordert. Deutlich wird, dass Partizipation als „ein unhintergehbares Glaubwürdigkeitskriterium“ (SELLMANN 2015) mit zunehmender Relevanz für die Prozesse der Kirche ernst zu nehmen ist. Als Grundlagen für die Beteiligungspraxis gelten theologisch das Prinzip des gemeinsamen Priestertums und die Mitverantwortung aller Gläubigen am Sendungsauftrag der Kirche (Laienapostalat).
Zudem bieten mit der Volk-Gottes-Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils (LG, AA) auch die Prinzipen der actuosa participatio in der Liturgie und die Betonung des sensus fidelium Anknüpfungspunkte für den Diskurs über die Partizipation der Getauften. Aktuell unterstrichen wird die Forderung zudem durch die Betonung der synodalen Strukturen durch Papst Franziskus, wobei das „nachkonziliare Bewusstsein der Gläubigen […] mit vorkonziliaren Strukturen konfrontiert“ bleibt (SPICHTIG 2006).
Ziel der Dissertation soll sein, die politologischen und theologischen Diskurse zu verknüpfen und so neue Optionen für Partizipationsroutinen in der katholischen Kirche in Deutschland aufzuzeigen.
Das Dissertationsvorhaben knüpft an neue Erkenntnisse zur Situation von Leitung und Partizipation in der Diözese Rottenburg-Stuttgart an, in der seit fast 50 Jahren Erfahrungen in der gemeinsamen „kooperativen Leitung“ der Kirchengemeinden durch Pfarrer und gewählte Vertreter/innen im Kirchengemeinderat vorliegen. Ausgehend von der spezifischen Situation in der Diözese sollen konkrete Hinweise zu einer Realisierung der in der Dissertation erarbeiteten Anregungen für eine stärkere Partizipationspraxis gegeben werden.