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DFG-Projekt „Katholischsein in den 1970er und 1980er Jahren: Mit den Grünen oder gegen die Grünen?“


Die von der DFG geförderte Forschungsgruppe „KATHOLISCHSEIN IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. Semantiken, Praktiken, Emotionen in der westdeutschen Gesellschaft 1965 – 1989/90“ hat im Oktober 2020 ihre Arbeit aufgenommen. Der Bochumer Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte ist mit am Start: Unter der Leitung von Prof. Dr. Wilhelm Damberg und Prof. Dr. Florian Bock bearbeitet Dr. Maria Schubert mit Unterstützung durch die studentische Hilfskraft Johanna Germing das Projekt „Das ‚Tischtuch zwischen Katholiken und den Grünen [ist] zerschnitten.‘ Katholischsein in den 1970er und 1980er Jahren: Mit den Grünen oder gegen die Grünen?“ Für ZdK und katholische Amtskirche waren die GRÜNEN zu Beginn der 1980er Jahre zunächst ein rotes Tuch: zu tief waren die Gräben zu Fragen der Abtreibung und Familienpolitik. Die massiven Umweltprobleme und der drohende NATO-Doppelbeschluss schwemmten jedoch auch viele katholische Gläubige, allen voran eine junge Generation von KatholikInnen, in die Neuen Sozialen Bewegungen. So waren immerhin ein Drittel aller Grünen-Wähler 1980 katholischer Konfession und prominente GRÜNE der ersten Generation wie Winfried Kretschmann und Petra Kelly waren katholisch sozialisiert. „Grüne“ und katholische Narrative konnten sich dabei in mancherlei Hinsicht, etwa in Fragen des Umweltschutzes und der Bewahrung der Schöpfung, treffen. Sie konnten sich aber zugleich auf anderen Feldern unversöhnlich gegenüberstehen: z.B. in Fragen des Lebensschutzes und des § 218 sowie hinsichtlich des traditionellen Familienbildes und der Verflüssigung der Geschlechterrollen. Nähere Informationen zum Grünen-Projekt und der DFG-Forschungsgruppe „Katholischsein“ finden Sie auf der Projekthomepage unter diesem Link.



DFG-FOR 2973: Katholischsein in der Bundesrepublik Deutschland. Semantiken, Praktiken und Emotionen in der westdeutschen Gesellschaft 1965–1989/90

Kaum eine Religionsgemeinschaft in Deutschland dürfte sich derzeit in vergleichbaren Turbulenzen befinden wie die Katholische Kirche. Und kaum eine wird in der Öffentlichkeit als ähnlich sperrig wahrgenommen.
Mitte der 1960er Jahre war das signifikant anders: Theologen wie Hans Küng, Joseph Ratzinger  oder Johann Baptist Metz waren Stars. Junge Frauen und Männer begannen Theologie zu studieren, obwohl sie keine Priester wurden und man sie immer noch als „Laien“ bezeichnete. Die caritativen Aufgaben, die bislang Ordensfrauen verrichtet hatten, werden als professionelle Sozialarbeit ein akademischer Frauenberuf. Und Priester, bislang als „Hochwürden“ verehrt, geben ihre Sonderrolle auf und gewinnen ein Profil als Lebensberater und Pastoralmanager. Theologie wird eine soziale Praxis.
Eltern kündigen Papst und Bischöfen den Gehorsam auf; nach der „Pillenenzyklika“ Humanae Vitae (1968) wollen sie sich nicht mehr in die Betten schauen lassen. In evangelisch-katholischen „Mischehen“ leben Paare selbstbewusst ein Christentum, das die bislang starren Konfessionsgrenzen überwindet. Katholische Lebensstile lassen sich nicht mehr eindeutig unterscheiden; Liturgie und Popmusik tragen das Leben der Straße in die Kirchen. Rollen und Rituale werden neu ausgehandelt.
Bislang treue CDU-Klientel, engagieren sich junge katholische Frauen bei den Grünen und stehen mit ihren Freunden oder Männern am Bauzaun von Wackersdorf. Auch in der Friedens- und Umweltbewegung gehen Christinnen und Christen auf politische Distanz zu konservativen Parteien und engagieren sich in den neuen sozialen Bewegungen. In den Großstadtpfarreien Berlins und anderswo sind die politischen Konflikte der 1960er/70er Jahre hautnah. Religion vernetzt sich auf ungewohnte Weise mit Politik und Zivilgesellschaft.
Die DFG-Forschungsgruppe 2973 stellt die Frage: „Was kommt nach dem ‚katholischen Milieu‘?“ – religionskulturell, politisch, zivilgesellschaftlich, gendertheoretisch?
Unsere zentrale These: Der überkommene Katholizismus löst sich nicht einfach in die Säkularisierung hinein auf. Vielmehr gehen aus der Sozialform des katholischen Milieus vielfältige Gestaltungen des „Katholischseins“ – des „doing Catholicism“ hervor. „Katholischsein“ als Forschungsgegenstand rechnet nicht mehr mit einem soziopolitischen und religionskulturellen Milieu, das sich vom Rest der Gesellschaft signifikant unterscheiden will. Was sind die vielen Formen des „Katholischseins“, wenn sie nicht mehr als organisierte Kirchlichkeit stattfinden?
Unsere zentrale Zielsetzung: Kirchliche Zeitgeschichte, bislang ein gesondertes Feld, wird zugleich allgemeine Zeitgeschichte.
Die FOR 2973 bearbeitet ihre Projekte an neun Universitätsstandorten; die Zentrale der FOR 2973 ist die Kommission für Zeitgeschichte in Bonn.
Personen, Programm, Projekte und Publikationen

Bild © Erik Gieseking